Dr. Laura Hottenrott
Mein Ziel für den diesjährigen Berlin Marathon war es, die Olympianorm von 2:26:50 h zu unterbieten. Aus verschiedenen Gründen ist mir dies aber nicht gelungen und am Ende stand eine 2:29:38 h auf der Uhr. Wie viele von Euch möglicherweise verfolgt haben, haben wir, das sind mein Trainer und Vater Kuno und ich, uns anschließend entschieden, es 10 Wochen später in Valencia noch einmal zu versuchen. Herausgekommen sind 2:24:32 h am 3. Dezember in Valencia. Persönliche Bestzeit, Olympianorm und Platz 4 in der ewigen Deutschen Bestenliste. Über die Odyssee mit der Startnummer und die Eigenverpflegung in den Trailshorts wurde bereits viel diskutiert. In diesem Beitrag möchte ich auf die mir vielfach gestellte Frage „ Wie konnten wir in dem knappen Zeitfenster zwischen Berlin und Valencia diese Steigerung erzielen?“ eingehen.
Vorab möchte ich klarstellen, dass die Zeit, die am Ende eines Marathons steht, nicht immer genau gleich der aktuellen Leistungsfähigkeit ist. Dies wäre ja auch zu einfach. Bei einem Wettkampf spielt die Tagesform, der Rennverlauf, die Verpflegung und das Pacing natürlich immer auch eine entscheidende Rolle. In Berlin war die Leistungsfähigkeit in der Vorbereitung sehr gut, jedoch leider in den letzten zwei Wochen etwas eingeschränkt aufgrund eines Magendarminfekts 10 Tage vor dem Rennen und das Pacing lief auch suboptimal mit einem plötzlichen Ausfall meines Pacers bei km 32, so, dass die 2:29:38 h schlechter waren als die Trainingswerte im Vorfeld gezeigt hatten.
Wie sahen nun die 10 Wochen nach dem Berlin Marathon bis Valencia aus?
Nach dem Berlin Marathon folgte eine Woche komplette Laufpause zur Erholung für Körper und Geist. In der zweiten Woche habe ich dann zwei MTB Touren und kurze Radrollen Einheiten gefahren und bin mit 40 Wochenkilometern wieder in das lockere Laufen eingestiegen. Zu meiner Überraschung haben sich die Beine schon wieder relativ gut angefühlt und ich hatte keine Blessuren von Berlin davongetragen.
Von Woche drei bis fünf haben wir die Laufkilometer von 100 bis 160, auf 180 gesteigert und Intervalleinheiten eingebaut (200er und 300er Intervalle in 5000 m Pace). Ab Woche sechs kamen dann längere Intervalle hinzu (1000er, 2000er und 3000er in 10 km bis Halbmarathon Pace), sowie flottere Long Runs (30 km bis 32 km in 10-15 sec über Marathon Pace). Die Wochenkilometer haben sich im Mittel bei 160-180 km eingependelt. Einen Tag pro Woche haben wir jeweils als lauffreien Regenerationstag an dem Kraft- und Stabilitätstraining auf dem Plan standen eingebaut.
Was waren die „Key Sessions”?
In Woche vier, sechs und acht haben wir zusätzliche die „Key Sessions“ durchgeführt. Dies ist eine Leistungsdiagnostik am ersten Tag, gefolgt von einem Tempodauerlauf bei der neu errechneten Schwellengeschwindigkeit am Folgetag. Wie sieht dies konkret bei uns aus?
Wir führen die Leistungsdiagnostik in 1200 m Stufen durch. Gestartet wird bei 11,5 km/h und die Geschwindigkeit steigt um 1,5 km/h pro Stufe an. Nach jeder Stufe nimmt mein Vater am Ohrläppchen Blut ab, um damit mit dem Laboranalysesgerät die Laktat- und Glukosekonzentration sofort zu bestimmen. Den Test führen wir entweder als Feldtest auf der Laufbahn oder auf einem geeichten Laufband mit 0,5% Steigung durch. Kontinuierlich wird die Herzfrequenz mit dem H10 Brustgurt (Polar) aufgezeichnet. In der Abbildung 1 aus der MATS APP ist die Leistungsdiagnostik vom 03.11.2023 dargestellt. Zu sehen sind die Stufen 11,5 km/h, 13 km/h, 14,5 km/h, 16 km/h und 17,5 km/h was einer Pace von 3:26 min/km entspricht und einer Marathonzeit von sub 2:26:50 h. Da die Laktatkonzentration mit 2,3 mmol/l im Bereich der anaeroben Schwelle lag, haben wir diese Stufe dann jeweils fünfmal wiederholt. So können wir beobachten, wie und ob Laktat, Glukose und Herzfrequenz bei Racepace weiter ansteigen. Idealerweise bleiben diese Werte konstant, ansonsten ist die Marathon Racepace zu hoch gewählt. Am 03.11 blieben die Laktatwerte weitgehend konstant, sodass wir am nächsten Morgen mit dem zweiten Teil der „Key Session“ starteten. Ein Tempodauerlauf bei 3:26 min/km für 30 min, gefolgt von einer 10 minütigen Temposteigerung auf 3:20 min/km. Der Herzfrequenzverlauf in der MATS APP ist in Abbildung 2 dargestellt. Zu erkennen ist ein Heartrate Drift in den ersten 30 Minuten von ca. 10 Schlägen/min, was unseren Erwartungen entspricht. Die Laktatkonzentration nach dieser 40 minütigen Einheit war unter 3 mmol/l. Eine regelmäßige Überprüfung mittels der Leistungsdiagnostik von langsamer bis zur Wettkampfgeschwindigkeit hilft uns, die aerobe und anaerobe Schwelle und die damit einhergehenden Herzfrequenztrainingszonen fortwährend im Trainingsprozess zu aktualisieren.
Abbildung 1: Leistungsdiagnostik 3.11.23
Abbildung 2: Herzfrequenverlauf „Key Session“, 4.11.23
Von den Trainingswerten zur Umsetzung im Rennen
Ab Woche acht folgte dann das Tapering und die Wochenkilometer haben sich von 180 auf 150 und dann 110 in der Wettkampfwoche reduziert. Die Intervalle wurde in der Intensität beibehalten, die Wiederholungsanzahl hat jedoch abgenommen.
Aufgrund der Leistungsdiagnostiken waren wir sehr zuversichtlich, dass eine Pace von 3:26 min/km möglich sein kann, sofern am Wettkampftag viele Faktoren zusammen passen. Am Ende ist es nun eine mittlere Pace von 3:24 – 3:25 min/km geworden (Abbildung 3 aus MATS COACH Aufzeichnung mit Polar Vantage V3). Jedoch war es keinesfalls ein gleichmäßiges Rennen, da ich ohne Pacemaker gelaufen bin und auf mein Körpergefühl vertraut habe. Wenn man viel Wettkampferfahrung hat, spüre ich wenn sich Laktat in der Muskulatur anhäuft. Dieses Körpergefühl, konnte ich die letzten Jahre immer weiter verbessern. Eine Marathonstrecke hat auch immer schwierigere und leichtere Passagen, je nach Profil und Wind. Insbesondere die letzten Kilometer waren dann unter 3:26 min/km (Abbildung 4 aus MATS COACH). Und ja, dies dann doch noch etwas schnellere Pace ließ sich anhand unserer Leistungsdiagnostiken so nicht erwarten. Das ist auch gerade das Schöne an unserem Sport und am Wettkampf! Am Ende eines Marathons kann es viele Überraschungen geben.
Abbildung 3: Gesamtansicht Aktivität Valencia Marathon
Abbildung 4: Auswertung Kilometer 31-42,2 Valencia Marathon