Dr. Laura Hottenrott & Prof. Dr. Kuno Hottenrott

Trainingswissenschaftliche Erkenntnisse wurden lange Zeit aus Forschungsergebnissen von untersuchten Männerpopulationen abgeleitet. Auch wenn heute mehr Frauen in wissenschaftliche Untersuchungen eingeschlossen werden, besteht immer noch eine große Forschungslücke, ein sogenannter Gender Data Gap. Frauen haben in vielen Sportarten historisch gesehen eine Benachteiligung erfahren, die erst nachhaltig in den letzten 20 Jahren des letzten Jahrhunderts behoben wurde. So wurde 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles erstmals der Frauenmarathon in das Programm aufgenommen.
Physiologische Unterschiede zwischen Frauen und Männer
Physiologische und anthropometrische Unterschiede zwischen Frauen und Männern haben bekanntlich einen unmittelbaren Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Frauen haben im Vergleich zu Männern meist eine geringere Körpergröße und ein geringeres Körpergewicht, eine geringere Muskelmasse, einen geringeren Muskelfaserdurchmesser, eine 10-bis 20-fache geringere Konzentration von freiem Testosteron, ein kleineres Herz, eine größere Diffusionskapazität der Lunge, ein geringeres Blutvolumen, weniger Hämoglobinmasse und damit eine verminderte Sauerstofftransportkapazität und maximale Sauerstoffaufnahme. Hingegen hat die Frau deutlich höhere intramuskuläre und subkutane Fettspeicher als der Mann. Der daraus resultierende höhere Fettumsatz der Frauen bei Ausdauerbelastungen wurde in mehreren Untersuchungen bestätigt. Die höhere Fettoxidationsrate bedingt einen niedrigeren Kohlenhydratumsatz vor allem bei langen Dauerläufen.
Die genannten Unterschiede zwischen Frauen und Männern haben Konsequenzen für das Training. So müssen beim Krafttraining Männer im Vergleich zu Frauen aufgrund der höheren Muskelmasse mit höheren Lasten trainieren, um einen vergleichbaren Trainingsreiz auszulösen. Dies ist allseits bekannt und wird in der Praxis auch so umgesetzt. Aber welche Veränderungen müssen für das Lauftraining vorgenommen werden? Können Frauen mit der gleichen relativen Herzfrequenz (%HFmax) trainieren wie Männer, um vergleichbare Trainingswirkungen zu erzielen? Wir wollen uns im ersten Schritt zunächst dieser Frage widmen und dann auf weitere Aspekte wie dem Leistungs- und Erholungsverhalten bei hochintensiven Intervalleinheiten (HIIT) eingehen.
Frauenherzen schlagen anders
Frauen haben auf Grund ihrer kleineren Herzgröße eine höhere Herzfrequenz in Ruhe und bei moderater Ausdauerbelastung im Vergleich zu Männern. Bei maximaler Anstrengung im Sport erreichen Frauen genauso hohe Herzfrequenzen wie Männer gleichen Alters, das heißt die maximale Herzfrequenz unterscheidet sich zwischen Frauen und Männern nicht. Allerdings gibt es Geschlechtsunterschiede in der Höhe der Herzfrequenz, wenn die Herzfrequenzwerte in Beziehung zur Laktatkonzentration gestellt werden, wie dies Hottenrott und Neumann (2012) in einer Studie mit gut trainierten gleichaltrigen Läuferinnen und Läufer zeigen konnten. Die in die Studie eingeschlossenen Frauen und Männer absolvierten im Abstand von 12 Wochen im Rahmen einer Marathon-Vorbereitung einen Feldstufentest mit Laktat- und Herzfrequenz-Bestimmung. Bei vergleichbaren Laktatwerten ergaben sich signifikante Geschlechtsunterschiede. Die Läuferinnen hatten im Vergleich zu den Läufern bei gleicher Laktatkonzentration eine signifikant höhere Herzfrequenz. Die Differenz in der Herzfrequenz betrug im Mittel 10 Schläge/min bei Laktat 2 mmol/l und 7 Schläge/min bei Laktat 4 mmol/l. Bei der maximalen Herzfrequenz wurde kein Geschlechtsunterschied gefunden. Demzufolge benötigen Läuferinnen und Läufer unterschiedliche Vorgaben in der Höhe der Herzfrequenz insbesondere für den aeroben Trainingsbereich. Aus diesen und weiteren Erkenntnissen wurde die „Hottenrott-Formel“ (THF = HFmax x 0,70 x LFi x TZi x GFi x SPi) erarbeitet. Sie dient der individuellen Bestimmung der Trainingsherzfrequenz (THF) für die drei Trainingsbereiche (GA1, GA1-2 und GA2) unter Berücksichtigung von Alter, Leistungs- und Fitnessslevel (LF), Trainingsziel (TZ), Geschlecht (GF) und Sportart (SP).
Unterschiede im Leistungs- und Erholungsverhalten zwischen Frauen und Männer
Spannende Ergebnisse konnten wir in einer eigenen randomisiert kontrollierten Laborstudie (Hottenrott et al., 2021) finden, wo wir gleich gut ausdauertrainierte Frauen und Männer bei einem HIIT-Training auf dem Radergometer untersuchten. Es zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei Wiederholungssprints hinsichtlich der Leistungsabnahme von Sprint zu Sprint. Frauen hatten einen deutlich geringeren Leistungsverlust. Diese Unterschiede zeigten sich besonders bei kurzen aktiven Pausen (1 und 3 min) aber auch bei längeren Pausen (10 min) zwischen den Sprints. Auch fanden wir signifikante Unterschiede im Erholungsverlauf von Herzfrequenz, Laktat und subjektiver Beanspruchung.
Können Frauen weniger trainieren als Männer?
Frauen brauchen weniger körperlich aktiv zu sein, um gesund und fit zu bleiben bzw. ihre Sterberisiko zu senken, als Männer. Zu diesem Ergebnis kommt eine ganz neue Studie, die aktuell für viele Schlagzeilen sorgt, in der über 400.000 Personen im Zeitraum von 1997 bis 2019 zur körperlichen Aktivität befragt wurden (Ji et al., 2024). Dieses Ergebnis aus dem Gesundheitsbereich lässt sich aber nicht einfach auf den Leistungssport übertragen. Es bedeutet nicht, dass Frauen pauschal weniger trainieren können als Männer, um das gleiche Leistungsziel oder die gleiche Zielzeit zu erreichen, im Gegenteil Sie müssen für die gleiche sportliche Leistung eines Mannes sogar mehr trainieren. Dies begründet sich allein schon aus den bereits genannten physiologischen Unterschieden.
Auf die Frau abgestimmte Trainingspläne sind notwendig!
Insofern können Trainingspläne im Sport und insbesondere im Ausdauersport für Frauen und Männer nicht identisch sein. Zum Beispiel müssen sich Halbmarathon- und Marathontrainingspläne mit Zielzeitvorgaben (z.B. < 2:00 h oder < 1:30 h bzw. und <4:00 h oder < 3:00 h) in vielen Trainingskennziffern wie Umfang, Intensität, Intervallpausen, Regenerationszeiten u.a. sowohl innerhalb einzelner Trainingseinheiten als auch im mehrwöchigen Trainingszyklus zwischen Frauen und Männern unterscheiden. In der täglichen Betreuung von Leistungssportler:innen ist dies seit Jahren für uns selbstverständlich, jedoch verwundert es uns, dass dies bisher nicht bei kommerziell zu erwerbenden Trainingsplänen oder in Trainingsbüchern zum Marathon oder Halbmarathon berücksichtigt wird. Auch wenn in den letzten Jahren viel über das zyklusbasierte Training geforscht wurde und prinzipielle Empfehlungen herausgearbeitet wurden, spiegeln sich diese nach wie vor nicht in den konkreten Inhalten und der Gestaltung der einzelnen Trainingseinheiten zwischen Frauen und Männern wieder. Insofern haben wir Trainingspläne entwickelt, die die physiologischen Besonderheiten der Frau und trainingswissenschaftliche Erkenntnisse für die Entwicklung der Laufleistung mit einbeziehen.
Literatur:
Ji, H., Gulati, M., Huang, T. Y., Kwan, A. C., Ouyang, D., Ebinger, J. E., … & Cheng, S. (2024). Sex differences in association of physical activity with all-cause and cardiovascular mortality. Journal of the American College of Cardiology, 83(8), 783-793. https://doi.org/10.1016/j.jacc.2023.12.019
Hottenrott, L., Möhle, M., Ide, A., Ketelhut, S., Stoll, O., & Hottenrott, K. (2021). Recovery from different high-intensity interval training protocols: comparing well-trained women and men. Sports, 9(3), 34. https://doi.org/10.3390/sports9030034
Hottenrott, K., Neumann, G. (2012) Geschlechtsspezifische Formel für optimale Trainingsherzfrequenzen. Schweizerische Zeitschrift für Sportmedizin und Sporttraumatologie. 60 (3), 202-205.